Vom Fach

Schade eigentlich

In Rio werden morgen die Olympischen Spiele eröffnet

Morgen werden die Olympischen Spiele in Rio eröffnet. Während ich diesen Text schreibe, läuft im Fernsehen bereits das erste Spiel unserer Fußball­männer gegen Mexiko. Es steht 0:0. Eigentlich – so dachte ich – werde ich Olympia diesmal links liegen lassen. Zu viel ist passiert. Mit gesundem Menschenverstand betrachtet, wäre das wohl die einzige richtige Reaktion. Leider sind die „Spiele der Jugend der Welt“ längst zu einer Veranstaltung verkommen, bei der der Kommerz aus jeder Pore tropft. Doch spätestens mit der Entzündung des Feuers werde ich wieder schwach und verfalle in den Olympiamodus. Der beinhaltet zum Beispiel, keine Verabredung zu treffen, bevor ich mich nicht davon überzeugt habe, dass nicht zeitgleich unsere Handballjungs spielen, Boll und Ovtcharov den chinesischen Tischtennisstars das Fürchten beibringen, unsere Badmintonasse aufschlagen oder eine wichtige Entscheidung in der Leichtathletik fällt. – Und damit bin ich Teil des Problems.

Die Medien ließen in den letzten Wochen nichts unversucht, mit Nachrichten über Doping, korrupte Funktionäre, Nominierungsskandale, peinliche IOC-Possen oder die schlechte Stimmung im Austragungsland die Olympialaune zu verderben – so als würden sie Abbitte leisten, dass sie sich spätestens ab Samstag dann doch wieder konsequent vor den Olympiakarren spannen. Denn wir Sportfans wollen unsere Megadosis Rio. Und zwar auf mehreren Kanälen zugleich. Spätestens in einem Jahr werden wir über dieselben Kanäle erfahren, welchem Medaillengewinner nachträglich das Edelmetall aberkannt wurde. Die Dopingsünder setzen daraufhin eine Runde aus, gehen nicht über „Los“, sondern erhalten ihre „Entschädigung“ – so wie die gesperrten russischen Leichtathleten – direkt von ihrer Regierung. Doch bis dahin ist noch Zeit. Bis das Feuer am 21. August erlischt, verhalten wir uns wie ein schon oft betrogener Ehepartner, der die Beteuerung seines oder seiner Liebsten, dass es mit der Untreue jetzt nun wirklich ein Ende hat, unbedingt glauben will.

Die Situation von Olympiastartern ist für Außenstehende vermutlich kaum einzuschätzen. Schließlich geht es bei ihnen um mehr als um Siege, Platzierungen und Bestzeiten nämlich um Prämien, Einstufungen, Zukunftschancen und Existenzen. Bevor wir über sie urteilen, sollten wir uns vor Augen führen, dass wir Menschen bei der Ausübung ihrer Berufe zuschauen. Der Amateurgedanke der Olympischen Spiele ist längst was für Nostalgiker. Warum sollten sie sich anders verhalten, als Banker, Juristen, Künstler, Wissenschaftler, Dozenten, Polizisten oder wer sonst noch so auf der Karriereleiter herumturnt? Für Fair Play bleibt dabei leider oft nur Zeit, wenn es gerade mal nicht „um die Wurst“ geht. Doch wie muss es sich für einen erfolgreichen Doper anfühlen, auf ewig mit dem Wissen zu leben, dass es beim größten Triumph der Karriere nicht mit rechten Dingen zugegangen ist?

Der einzige Hebel, der IOC, Verbände und Sponsoren dazu bringen könnte, den Kampf gegen leistungsfördernde Mittel tatsächlich mit aller Konsequenz und länderübergreifend einheitlichen Maßnahmen anzugehen, wäre der Liebesentzug durch das Publikum. Wenn die Einschaltquoten für die zweieinhalbwöchige Sportinszenierung plötzlich dramatisch sinken, könnte das zu einem Dominoeffekt führen, wie ihn im kleineren Maßstab vor ein paar Jahren der Radsport erlebt hat. Mit spürbarem Effekt. Auch wenn man sich nie ganz sicher sein kann, scheinen die Pharmafestspiele der Pedalritter inzwischen der Vergangenheit anzugehören. Doch wie schon gesagt: Ausschalten? Soweit wollen wir Sportjunkies dann doch nicht gehen.

ARD und ZDF werden in diesem Jahr zum letzten Mal im großen Stil von den Spielen berichten. Danach wandern die Rechte an Discovery, die sich bereits jetzt als völlig unkritisches Sprachrohr der Olympiamacher positionieren. Vielleicht ist es daher ganz gut die zwei Wochen vor dem Fernseher noch mal ausgiebig zu genießen. In vier Jahren, wenn das Feuer in Tokio entzündet wird, findet der größte Teil der Wettbewerbe eh zu Zeiten statt, zu denen Deutschland noch im Bett liegt. Und wie sich der Charakter der Spiele in Zukunft ändern wird, wage ich mir angesichts einer repräsentativen Umfrage des Bitkom-Computerverbandes, laut der sich ein Viertel aller Deutschen E-Sport (also Computerspiele) als olympische Sportarten vorstellen können, gar nicht ausmalen. Bevor also irgendwann Medaillen in Counter-Strike oder League of Legends vergeben werden, genieße ich lieber noch einmal die „alten“ Spiele mit all ihren Zweifeln und Problemen und rede mir fest ein, dass wenigstens „unsere“ sauber sind. Wenn mich also in den nächsten Tagen jemand suchen sollte: Ihr findet mich in der ersten Reihe.

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